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Ich war 14, als ich zum 1. Mal Hijab trug – und er gab mir eine Identität

Foto: bereitgestellt von Nadeine Asbali.
Ich trage schon mein halbes Leben Hijab. Keine Frage: Ein Stück Stoff auf dem Kopf einer Frau bestimmt nicht, wer sie ist – aber es wäre gelogen, wenn ich leugnen würde, dass dieses Stück Stoff mich doch in gewisser Art zu der Frau gemacht hat, die ich heute bin. Das Kopftuch erlaubte es mir, meine ganz eigene Identität zu finden, was in einem multireligiösen Haushalt mit Eltern verschiedener Herkunft nicht ganz leicht war. 
Mein Vater kommt aus Libyen, meine Mutter aus England; er ist Moslem, sie nicht. Das sorgte dafür, dass es von mir quasi „zwei Versionen“ gab. Ich weiß noch, dass ich mich als Kind als zwei verschiedene Menschen malte: Das englische Mädchen trug ein T-Shirt und langes, im Wind wehendes Haar – wie meine Mum. Das libysche Mädchen hingegen trug einen Hijab, wie die Cousinen, die ich jeden Sommer besuchte.
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In westlichen Ländern wirst du für deine ethnische Herkunft verurteilt, bevor du überhaupt alt genug bist, das zu verstehen, und je älter ich wurde, desto stärker wurde das Gefühl, dass sich meine zwei Seiten nicht mehr denselben Körper teilen konnten. Rassistische Witze auf dem Spielplatz und die Islamophobie nach 9/11 sorgten schließlich dafür, dass ich selbst begriff: Ich war nicht weiß. Und als ich älter wurde, fühlte ich mich zunehmend unwohler in den weißen Räumen, in denen ich vorher problemlos existiert hatte.
Zu Hause war der Islam ein Regelwerk ganz ohne jegliche Spiritualität. Es hieß nur: kein Schweinefleisch, keine bauchfreien Tops, und absolut keine Jungs! Doch als Teenagerin bemerkte ich dann, dass meine Freund:innen den im Westen „normalen“ Teenie-Pfad einschlugen: Bei Geburtstagspartys wurde in der Küche heimlich am Alkohol genippt, und Jungs kletterten nachts durchs Fenster. Bei Mädelsabenden im Kino (die von mir tagelange Überzeugungsarbeit erforderten, damit meine Eltern einsahen, dass ich da nicht direkt gekidnappt werden würde) stießen dann irgendwann die diversen „festen Freunde“ dazu, die sich an meinen zierlichen, blonden Freundinnen gar nicht sattsehen konnten. Ich – pummelig, plump – kam mir vor, als sei ich nur die Handtaschenhalterin.
Foto: bereitgestellt von Nadeine Asbali.
Die Kluft zwischen mir und meinen Freund:innen wurde immer größer, und mit gerade mal 15 stürzte ich Hals über Kopf in meine erste Identitätskrise. Weil ich mir verzweifelt Freund:innen wünschte, mit denen ich einfach ich selbst sein konnte, weiß ich noch, wie ich die paar Mädchen mit Kopftuch an meiner Schule beeindruckt beobachtete. Ich war neidisch darauf, dass ihnen ihre Identität einfach so in den Schoß gefallen zu sein schien. Sie hatten ihren Minderheiten-Status akzeptiert und daraus einen Freundeskreis geschmiedet.
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Sie trugen bodenlange Röcke mit Pullovern oder zeigten sich stolz im Salwar Kamiz, scheinbar ganz selbstverständlich, ohne weiter darüber nachzudenken. Ich wünschte mir, zu ihrem Kreis dazuzugehören – fühlte mich aber nur halb dazu berechtigt. Ich war „nicht ganz“ weiß, aber eben auch „nicht ganz“ Braun. Ich schien nirgendwo richtig reinzupassen.
Es brauchte kein Zeichen des Universums, das mich dazu veranlasst hätte, zum ersten Mal einen Hijab zu tragen; das war eine Entscheidung, die mir schon lange im Hinterkopf rumgespukt war, entstanden aus dem Wunsch, dazuzugehören. Eines Tages, als wir gerade wie jeden Sommer meine Familie in Libyen besuchten, beschloss ich, das Kopftuch einfach mal anzuprobieren. Meine Cousine wühlte in ihrer Schublade und band mir dann mit einem sanften Lächeln ein weiches, violettes Tuch um den Kopf. 

Ich hatte endlich das Gefühl, diese neue Identität gehörte ganz mir. Ich war nicht mehr halb dies, halb jenes. Ich konnte ganz und gar eine Muslima sein – und das konnte mir niemand nehmen, so sehr sie es auch versuchten.

Das war der leichte Teil. Von dem Moment an, als wir wieder zu Hause ankommen und mein Kopf in ein strahlend blaues Tuch gewickelt war, veränderte sich aber plötzlich alles. Obwohl ich vorher schon geglaubt hatte, als „anders“ betrachtet zu werden, war das jetzt ein völlig neues Level: Ich musste zusätzliche Sicherheitschecks am Flughafen über mich ergehen lassen. Lehrer:innen verwechselten mich mit anderen Hijab-Trägerinnen. Meine Freund:innen begegneten mir mit Mikroaggressionen, zynischen Kommentaren. Der nicht-muslimische Teil meiner Familie ignorierte mich. In der Öffentlichkeit kassierte ich immer wieder rassistische Sprüche. Und sogar die muslimischen Mädchen, die ich vorher so bewundert hatte, glaubten erst, das Ganze sei ein Scherz – als sei ich ein weißes Mädchen, mein Hijab ein Kostüm.
In diesen ersten Wochen weinte ich öfter, als ich mitzählen konnte. Und trotzdem: Nichts konnte meinen neu entdeckten inneren Frieden kaputtmachen. Das Kopftuch zu tragen, brachte mich dem Glauben näher, mit dem ich aufgewachsen war – nur diesmal eben als etwas Spirituelles, nicht bloß als fixes Regelwerk. Ich hatte endlich das Gefühl, diese neue Identität gehörte ganz mir. Ich war nicht mehr halb dies, halb jenes. Ich konnte ganz und gar eine Muslima sein – und das konnte mir niemand nehmen, so sehr sie es auch versuchten.
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Keine Frage: Es war eine Herausforderung, als 14-Jährige eine anständige Garderobe aus dem zusammenzustellen, was schon in meinem Schrank hing. Mich komplett neu einzukleiden, war keine Option – also wurde ich zur Expertin im Zwiebellook. Ich trug Kleider über Jeans, darüber Cardigans, um die Arme zu bedecken; über langen Tops trug ich Westen, um meine Brust zu kaschieren. 
Ich wurde süchtig nach verpixelten Hijab-Tutorials auf YouTube. Stundenlang sah ich mir an, wie Frauen den Stoff verdrehten, wegsteckten, falteten, festpinnten. Ich drückte Pause, spulte zurück, um es ihnen vor dem Spiegel nachzumachen. Das Kopftuch war außerdem die Rettung für meine tief sitzenden Teenie-Unsicherheiten: Die anständige Kleidung verhüllte all das, wofür ich mich schämte, von meiner breiten Figur bis hin zu der Körperbehaarung, über die sich meine weißen Freund:innen so oft lustig gemacht hatten. Dieser neue Look erlaubte es mir, mein Äußeres komplett neu zu gestalten. Ich band zwei verschiedenfarbige Tücher zusammen und trug sie als Schal oder verwandelte alte Stirnbänder in Hijab-Accessoires. Es dauerte nicht lange, bis die muslimischen Mädchen, die mein plötzliches Kopftuchtragen so skeptisch beäugt hatten, meinen Style nachmachten. Das war für mich eine Bestätigung.
Foto: bereitgestellt von Nadeine Asbali.
Foto: bereitgestellt von Nadeine Asbali.
Meine Einstellung zur anständigen Kleidung hat sich seitdem im Laufe meines Lebens immer weiterentwickelt. Ich glaube zwar nicht, dass die Kleidung den inneren Glauben repräsentiert – ich erkenne aber doch eine Verbindung zwischen meinem Style und meiner Spiritualität. Wenn ich mich gerade nicht so religiös fühle, wird meine Definition von „anständig“ etwas lockerer; und in Phasen, in denen ich mich meinem Gott näher fühle, kleide ich mich gern offensichtlich muslimisch. Gleichzeitig hilft mir der anständige Style dabei, mich von Fast Fashion zu distanzieren – und mich darauf zu besinnen, dass ich mich für meinen Gott und mich selbst anziehe, nicht für die Gesellschaft und deren Erwartungen. Dabei will ich nicht bewusst mit irgendwelchen Stereotypen brechen, sondern einfach mein Leben leben.
Es kann angsteinflößend sein, in der Öffentlichkeit als Muslima erkennbar zu sein. Ich vermeide es deswegen zum Beispiel, in der U-Bahn direkt am Bahnsteigrand zu stehen, und insbesondere nach islamistischen Terrorangriffen rechne ich immer mit rassistischen und islamophobischen Begegnungen. Trotzdem genieße ich es, ganz unverfroren und unmissverständlich muslimisch zu sein. Denn im Gegensatz dazu, was ich als Jugendliche dachte, gehöre ich hierhin – und niemand kann mich vom Gegenteil überzeugen.

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