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„Good vibes only“ ist toxisch & wieso „bad vibes“ gut tun

Wenn du ein bisschen Zeit auf irgendeiner Social-Media-Plattform verbringst, wirst du zwangsläufig irgendwann über die drei Worte stolpern, die die moderne Lebensphilosophie von Gen Z und Millennials zusammenfassen: „good vibes only“. Ob sie nun als positives Mantra oder als Warnung an alle mit „bad vibes“ verwendet werden – „Vibes“ sind gerade überall, von „vibe shifts“ bis hin zu „vibe checks“. Die wachsende Beliebtheit des Begriffs zeigt vor allem eins: Wir verlassen uns immer häufiger auf unsere emotionale Intuition (oder wollen es zumindest). Zusammen mit dem Trend zur manifestation, dem „Herbeiwünschen“ guter Dinge, deutet sie darauf hin, dass wir uns als Generation von der organisierten Religion hin zu einer New-Age-Spiritualität entwickeln. Aber kann es sein, dass uns der Fokus auf ausschließlich „gute Vibes“ emotional einschränkt und dafür sorgt, dass die Vibes insgesamt immer schlechter werden?
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Keine Frage: Optimismus und ermutigende Worte an sich selbst können sich auf das Leben in vielerlei Hinsicht positiv auswirken. Studien haben sogar erwiesen, dass es deiner allgemeinen Gesundheit guttun, Stress mindern und sogar einige Risiken des vorzeitigen Todes reduzieren kann. Die „good vibes only“-Kultur hingegen fördert etwas, was allen Beteiligten sogar eher schaden kann: toxische Positivität. Dr. Pamela Rutledge, Leiterin des kalifornischen Media Psychology Research Center, erklärt mir, toxische Positivität würde „eine künstliche Fassade erschaffen, die negative Emotionen verbirgt“. In anderen Worten: Jemandem „bad vibes“ vorzuwerfen, kann als Vorwand dienen, um sich vor schwierigen, aber wichtigen Gesprächen oder Gefühlen zu drücken.
„Gesundes positives Denken basiert auf dem authentischen Ausdruck von Gefühlen und Akzeptanz. Positives Denken bedeutet, negative Emotionen auf positive Art anzugehen. Dazu gehören oft Strategien, mit deren Hilfe du negatives Selbstzureden erkennst, Irrglauben anfechtest und aktiv Veränderungen einleitest, um deine Perspektive zu wechseln“, erklärt Dr. Rutledge. „Toxische Positivität wird oft mit positiver Psychologie gleichgesetzt. Positive Psychologie leugnet negative Emotionen aber nicht. Wer sich weigert, sich negative Gefühle oder Schwierigkeiten mit negativen Erlebnissen einzugestehen, hält sich selbst davon ab, mit Trauer, Verlusten, Enttäuschungen, Ängsten und Unsicherheiten umzugehen.“ Das kann ihr zufolge der mentalen und körperlichen Gesundheit schaden, weil es Stress und Depressionen fördert.

Der Fokus auf Positivität allein erlaubt nicht viel Freiraum für die volle emotionale Bandbreite der menschlichen Erfahrung (die es uns überhaupt erlaubt, Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen).

Wenn du dich mal in unserer Welt und dem aktuellen politischen Klima so umsiehst, ist das Bedürfnis danach, dich nur mit positiven Vibes, Menschen, Situationen und Gefühlen zu umgeben, völlig verständlich. Es bietet dir einen Fluchtweg aus der Realität. Unsere Gefühle und andere Leute aber in moralische Schubladen zu stecken und ihnen dann vorzuwerfen, sie seien „schlecht“, sorgt nur für zusätzlichen Druck, nach unerreichbaren und ungesunden Zielen zu streben. „Toxische Positivität kann uns gegenüber uns selbst und anderen weniger tolerant machen. Sie schließt Empathie und Mitgefühl aus – und ohne die gibt es keine zwischenmenschliche Bindung“, meint Dr. Rutledge. „Emotionales Wohlbefinden setzt nicht voraus, dass du dich in negativen Gefühlen suhlst. Es geht dabei um das richtige Gleichgewicht und das Recht, deine Emotionen erleben zu dürfen – sowie um das Wissen, dass deine Erfahrungen und Empfindungen gerechtfertigt sind.“
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Die Online-Philosophin Bobo Matjila erzählt, sie habe bereits Freund:innen verloren, die ihr während einer Depression „schlechte Vibes“ vorwarfen. Sie betrachtet „good vibes only“ als eine Klassenfrage, die Diskussionen rund im Privilegierung einfach ausblendet. „‚Good vibes only‘-Content hat etwas Klassenfeindliches, weil ‚gute Vibes‘ eben ein gewisses Level an Privilegien voraussetzen“, sagt sie. „Wer wenig Geld hat oder gerade eine schwere Lebensphase durchmacht, hat sicher auch mal ‚schlechte Vibes‘. Durchgehend ‚gute Vibes‘ gibt es nur, wenn man so fern von der Realität lebt, dass man mit keiner ihrer Schwierigkeiten konfrontiert wird.“
Matjila sieht auch eine starke Verbindung zwischen der „Industrie der Manifestation“ und dem aktuellen wirtschaftlichen Chaos. „Als einige aus unserer Generation dem Christentum den Rücken kehrten, weil es sich veraltet und erdrückend anfühlte, ersetzten wir es einfach durch eine viel heimtückischere Religion, die uns Hoffnung gab“, sagt sie. „Sie verspricht uns, wir könnten sogar in Zeiten von Wirtschaftskrise und Spätkapitalismus Wohlstand ansammeln, wenn wir nur positiv bleiben und an uns glauben.“ Die damit einhergehende Andeutung, der einzige Sinn des Lebens sei es, gute Gefühle und Erfahrungen zu erleben, passt perfekt in unsere Kultur des Hyperkonsumismus, meint Matjila. „Dadurch werden Werte wie Gemeinschaft, Moral und Gesundheit depriorisiert.“
Indem Manifestation und „good vibes only“ als Alternative zur Tradition dargestellt werden, kann sich diese Rhetorik der Positivität zum Wolf im Schafspelz entwickeln – passend zu einer modernen Kultur, in der Individualismus über allem anderen steht und wir einsamer sind als je zuvor. Schließlich erlaubt der Fokus auf Positivität allein nicht viel Freiraum für die volle emotionale Bandbreite der menschlichen Erfahrung (die es uns überhaupt erlaubt, Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen). Zu einer Gemeinschaft zu gehören, bedeutet eben manchmal, schwierige Gespräche führen oder unangenehme Aufgaben übernehmen zu müssen, deren Resultate die Mühe wert sind. Immerhin kann es sich genauso auch richtig schön und befreiend anfühlen, die einen traurigen Song anzuhören und dabei zu weinen, obwohl die Handlung an sich vielleicht nicht „positiv“ ist.
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Um selbst nicht in die Falle der toxischen Positivität von „good vibes only“ zu tappen, musst du dich nicht explizit mit „schlechten“ Menschen oder Vibes umgeben. Stattdessen solltest du dir eingestehen, dass sich die wenigsten Aspekte der menschlichen Existenz ganz ordentlich in „gute“ oder „schlechte“ Schubladen stecken lassen. „Realismus bedeutet, dich mit einer Situation auseinanderzusetzen und dich sowie andere dabei mit Empathie und Mitgefühl zu behandeln“, erklärt Dr. Rutledge. Es geht darum, dir Bewältigungsstrategien anzueignen, die dir beim Umgang mit Herausforderungen helfen – nicht darum, die Augen vor diesen Herausforderungen zu verschließen, meint sie. Das geht zum Beispiel durch Achtsamkeits- oder Dankbarkeitsübungen und sozialen Support aus deiner Gemeinschaft. Matjila hilft es auch, sich der Tatsache zu öffnen, dass um Leid manchmal kein Weg herumführt. Wir müssen einfach lernen, damit zu leben.
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