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Ja, ich bin 13 Jahre jünger als mein Freund. Na und?

Foto: Refinery29.
Ich kenne keine glückliche Beziehung, die nicht auf ihre ganz eigene Art irgendwie merkwürdigist. Wenn dann noch ein Altersunterschied von 13 Jahren dazu kommt, ist die Beziehung umso weniger normal, so viel ist klar – in meinem Fall hat es die Beziehung aber auch nicht zusätzlich verkompliziert. Unsere Herausforderung sind eher die manchmal verwirrten, manchmal entsetzten Blicke, die uns auf der Straße, im Restaurant, manchmal sogar in den Kommentarspalten auf Instagram verfolgen. 
Mal ehrlich: Ist ein Altersunterschied zwischen zwei gesunden Erwachsenen wirklich so problematisch? Als jemand in einer Beziehung mit deutlichem Altersunterschied – sprich: mit mehr als zehn Jahren zwischen uns – bin ich inzwischen so weit, dass ich einfach zurückglotze und mit meinen Blicken frage: Ist es nicht an der Zeit, dieses Unbehagen mit einem solchen Altersunterschied endlich abzulegen? Oder dient das Stigma rund um solche Altersabstände vielleicht doch einem wichtigen Zweck: Zwingt es ältere Menschen zur Verantwortung, die ein unausgeglichenes Machtverhältnis ausnutzen?
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Wir interessieren uns scheinbar ganz selbstverständlich für das Alter anderer Leute. Wenn du „Priyanka Chopra + Nick Jonas“ googelst, gehören „age“ (also „Alter“) bzw. „age difference“ („Altersunterschied“) zu den ersten Autocomplete-Vorschlägen. (Lass mich dir die Google-Suche ersparen: Die beiden sind zehn Jahre auseinander.) Als die Beziehung der beiden 2018 bekannt wurde, stürzte sich das gesamte Internet auf ihren Altersunterschied. Dasselbe Muster sehen wir in heterosexuellen Beziehungen immer wieder, wenn die Frau älter ist als der Mann. Gerade erst rechtfertigte sich Megan Fox (35) für ihren Altersunterschied zu ihrem Verlobten Colson Baker alias Machine Gun Kelly (31) und nannte die Kritik daran „lächerlich“.
Auch die Google-Suche nach dem Schauspieler Stephen Fry und seinem 30 Jahre jüngeren Mann Elliott Spencer wird erstmal automatisch durch „age difference“ ergänzt; die Hochzeit der beiden landete 2015 sogar in den britischen Schlagzeilen, weil sie die Fans „schockierte“ und „verwirrte“. Heterosexuelle Beziehungen zwischen Männern und deutlich jüngeren Frauen – wie Dennis Quaid und Laura Savoie (39 Jahre Unterschied) oder Jeff Goldblum und Emilie Livingston (30 Jahre) – erregen hingegen deutlich weniger Aufmerksamkeit und Kritik. 
Es scheint also, als sei unser Altersunterschied-Stigma sehr selektiv und vielleicht eher eine Maske für andere Probleme, die wir vielleicht insgeheim in Bezug auf die Beziehung oder ihre Partner:innen hegen. Woher kommt dieses Stigma? Die Psychotherapeutin Sheri Jacobson hat 17 Jahre Erfahrung in der Beziehungsberatung und vermutet, dass das Stigma unserer Angst vor Anderem und Unbekanntem entspringt. „Sobald wir etwas besser kennenlernen, verliert es seine Provokation und wird normalisiert. Dadurch fühl es sich wieder sicher an. Ich glaube, dass das leider die Wurzel vieler unserer Probleme mit allem ‚Anderen‘ ist. Was wir als neu und fremd empfinden, sehen wir oft als Bedrohung – obwohl es ja gar keine sein muss.“
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Ich habe Sheri gefragt, ob das Alter in Liebesdingen wirklich nichts weiter ist als eine Zahl. „Allgemein: Ja“, sagt sie. „Ich habe tatsächlich bei meiner Arbeit bisher nicht viele Paare beraten, deren Altersunterschied ein großes Problem war.“ Laut Sheris Erfahrung trifft das auf Beziehungen zwischen Partner:innen aller Gender, Altersklassen und Vergangenheiten zu. „Jedes Paar, das gut funktioniert, ist völlig einzigartig – sowohl in Sachen sexueller Vorlieben, persönlicher Wünsche, Freizeitgestaltung, und, und, und. Es gibt einfach so viele verschiedene Kombinationen und Faktoren.“ Die Lektion, die sie daraus zieht, ist klar: Wie sollen wir in einer Welt, in der jede Beziehung absolut einzigartig ist, eindeutig bestimmen können, welche richtig ist?
Ein viel häufigeres Beziehungsproblem, das Sheri in ihren Paartherapie-Sitzungen beobachtet, ist der sogenannte „Werte-Unterschied“, den sie als Unterschied darin definiert, „welche Lebensprioritäten [die jeweiligen Partner:innen] haben“. Manchmal spielt das Alter hierbei aber natürlich eine Rolle. Zu diesen Prioritäten können zum Beispiel der Kinderwunsch gehören, oder das Bedürfnis, häufiger oder seltener auszugehen und zu feiern. In meiner Beziehung zeigt sich der Werte-Unterschied vor allem in der Entscheidung, wo wir leben wollen. Mein Partner will unbedingt aufs Land fliehen, wohingegen ich die Großstadt liebe – diesen Unterschied sehe ich aber nicht unbedingt als Symptom unseres Altersunterschieds. Wir könnten ja auch genau umgekehrte Wünsche haben, wenn wir gleich alt wären (oder der Altersunterschied andersrum). So oder so gehen wir Kompromisse ein, und es hat uns definitiv geholfen, uns auf halber Strecke zu begegnen. Für unseren nächsten Umzug planen wir deshalb, weiter raus in die Vorstadt zu ziehen. 
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An dieser Stelle sollte ich etwas betonen: Bloß weil Sheri in ihrer Paartherapie bisher nicht viele altersbedingte Probleme beobachtet hat, heißt das natürlich nicht, dass die nicht existieren. Vielleicht wollen die Menschen in solchen Beziehungen wegen der gesellschaftlichen Stigmata rund um Altersunterschiede in der Therapie lieber nicht über damit verbundene Probleme sprechen; vielleicht machen sie auch gar nicht erst eine Therapie. Auf jeden Fall brauchen wir dringend mehr gesellschaftliche Toleranz, um die Stigmatisierung solcher Paare zu reduzieren.
Wir sind zumindest auf dem besten Weg dorthin: Das Therapeut:innen-Team unter Sheris Führung bemerkt in den letzten zehn Jahren eine immer stärkere Akzeptanz gegenüber Beziehungen mit großem Altersunterschied. Es gibt aber auch Aspekte unseres Alltags, in denen das Stigma noch immer deutlich zu spüren ist. „Viele Therapeut:innen stellen fest, dass sich ihre Patient:innen schnell davon verunsichern lassen, was sie in den sozialen Netzwerken lesen“, erklärt Sheri. „Es gibt immer jemanden, der:die einen fiesen Kommentar schreibt, nach dem Motto: ‚Seht euch mal diesen Altersunterschied an‘, ‚gold digger‘, ‚sugar daddy oder dergleichen.“ 
Ein Pärchen, das während der Pandemie auf TikTok bekannt wurde, bekommt jeden Tag solche Kommentare. Michael Justin (44) und Emily Downing (25) sind seit fast zwei Jahren zusammen und isolierten sich während Corona gemeinsam. „Wir treffen uns oft in der Mitte“, meint Emily. „Ich behaupte nicht, dass ein Altersunterschied gegen jedes Beziehungsproblem hilft. Natürlich hat jede Beziehung eigene Herausforderungen, aber für uns funktioniert das echt gut.“
Obwohl sie mir erzählt haben, dass ihre TikTok-Kommentare mittlerweile ziemlich positiv ausfallen, zeigt mir ein kurzes Scrollen durch ihren Feed, dass das nicht immer so war. Vor allem „daddy issues“ (z. Dt.: „Vaterkomplex“) steht ziemlich oft unter den Posts, in denen Emily zu sehen ist; darauf antworteten sie entweder mit frechen Kontern oder gar nicht. Der „schlimmste“ Kommentar, den Michael mal kassiert, ist „silver fox“ (z. Dt.: „Silberfuchs“). 
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Das ist ein Anzeichen für das unausgeglichene Machtverhältnis, das im Kontext vieler Beziehungen mit Altersunterschied (zurecht) häufig angesprochen wird und das auch meiner Mutter Sorgen machte, als ich eine Beziehung mit einem älteren Mann begann. Ich war erst Anfang 20, er hatte seine 20er schon hinter sich. Die 20er gelten vielerorts als das Jahrzehnt, in dem du „dich selbst findest“, und das will ich auch gar nicht runterspielen – tatsächlich beschäftigt mich dieser Gedanke oft. Ein ungerechtes Machtverhältnis in Beziehungen wie meiner sollte von den Partner:innen und ihrem Umfeld definitiv hinterfragt werden. Nicht bloß in Hinblick auf finanzielle Macht oder körperliche Stärke – sondern auch auf die Fähigkeit zu persönlichem Wachstum und zur Selbstbestimmung.
So weit, so gut. Aber ist die Vermutung denn immer richtig, dass ein höheres Alter ganz automatisch mehr Macht bedeutet? Nein. Die Situation variiert von Beziehung zu Beziehung. Ich verliebte mich in einen älteren Menschen, und darauf folgte ein Jahrzehnt des gemeinsamen Glücks. Trotz der 13 Jahre, die zwischen uns stehen, habe ich das Gefühl, dass wir gemeinsam gewachsen sind. Wir fanden uns selbst, gleichzeitig und doch zu unterschiedlichen Zeiten in unseren Leben.
Sheri meint dazu: „Liebe ist nichts Verbotenes und sollte auch für niemanden verboten sein – sofern ihr beide absolut wisst, worauf ihr euch da einlasst.“ Und wie ein deutlich älterer Kollege mal bei einer Weihnachtsparty zu mir sagte, nachdem ich ihm betrunken meine Altersunterschied-Story erzählt hatte: „Altersunterschiede sind einfach nicht so interessant.“ Und vielleicht hat er da Recht. 

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